Reifegradmodell misst digitalen Fortschritt in Deutschland

Reifegradmodell misst digitalen Fortschritt in Deutschland

Prof. Dr. Alexander Geissler von der Universität St.Gallen evaluiert im Rahmen einer nationalen Initiative den Digitalisierungsstand deutscher Krankenhäuser. Mit Well sprach er über das Projekt, die Wichtigkeit der Digitalisierung und die Well-App.

Sie sind hier:News>Reifegradmodell misst digitalen Fortschritt in Deutschland

Prof. Dr. Alexander Geissler
Wenn Kliniken, Ärztenetzwerke oder Organisationen Anreize haben zusammenarbeiten, werden sie interoperabel, was einen deutlichen Mehrwert für den Patienten generiert.
Prof. Dr. Alexander Geissler
Akademischer Direktor/Lehrstuhlinhaber, School of Medicine, Universität St.Gallen

Der DigitalRadar in Deutschland

Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Bundesländern beschlossen, die Digitalisierung der Krankenhäuser voranzutreiben. Dies da Studien gezeigt haben, dass deutlicher Handlungsbedarf besteht. Die Bundesländer sind in den vergangenen Jahrzehnten ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Investitionen in Infrastrukturen nicht im vollen Umfang nachgekommen und haben etwa keinen Schwerpunkt auf die Digitalisierung gelegt. Das Ergebnis ist eine stark fragmentierte IT-Landschaft mit Systemen aus unterschiedlichen Computerzeitaltern, die untereinander z. T. nicht kompatibel sind.

Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben mit 4,3 Mrd. Euro. Neben der Bereitstellung von Geldern für Projekte wie Patientenportale oder telemedizinische Anwendungen, soll die digitale Reife festgehalten werden, damit sich der Effekt der Massnahmen messen lässt. Das neu entwickelte Reifegradmodell DigitalRadar evaluiert die Krankenhäuser zu zwei Zeitpunkten und vergleicht den Fortschritt der Digitalisierung. Der DigitalRadar ist Open Source und kann auch in anderen Ländern verwendet werden.

Mehr zum Projekt DigitalRadar

Interview mit Prof. Dr. Alexander Geissler

Welchen Nutzen bietet der DigitalRadar konkret?

Der DigitalRadar gibt einerseits im Sinne einer Bestandaufnahme einen Gesamtüberblick über den Digitalisierungsstand in den Krankenhäusern. Die Krankenhäuser profitieren andererseits von einem detaillierten Bericht, der ihnen Aufschluss darüber gibt, wo sie sich weiterentwickeln können. Eine Benchmarking-Funktion zeigt ihnen zudem auf, wo sie im Vergleich mit anderen Krankenhäusern stehen.

Die IT-Systeme in deutschen Krankenhäusern sind stark fragmentiert. Wie sieht es in der Schweiz aus?

Die Studienlage in der Schweiz ist dünn. Es gibt kaum flächendeckende und standardisierte Informationen, weshalb man immer nur auf anekdotische Evidenz zurückgreifen kann. Insgesamt hat die Schweiz wahrscheinlich einen vergleichbaren Stand wie Deutschland, allerdings gibt es keine nationalen Bestrebungen mit Anreizen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wenn Kliniken, Ärztenetzwerke oder Organisationen Anreize haben zusammenarbeiten, werden sie interoperabel, was einen deutlichen Mehrwert für den Patienten generiert. Solche Netze waren immer schon weiter als nicht eingebundene Arztpraxen. Bei grösseren Krankenhäusern gibt es immer noch Insellösungen, also die grösstmögliche Fragmentierung. In der Schweiz ist das sehr verbreitet.

Worin bestehen die Gefahren einer solchen Fragmentierung?

Die Fragmentierung führt zu Informationsbrüchen bei der Behandlung und damit zu Versorgungslücken. Für die Qualität einer Behandlung ist es zunehmend entscheidend, Standards zu haben, um Daten austauschbar zu machen. Eine Zusammenarbeit bringt zudem die Forschung weiter und verbessert damit die medizinische Versorgung in einem Land.

Welche Faktoren beurteilt das Reifegradmodell des DigitalRadar?

Das Reifegradmodell berücksichtigt 7 Dimensionen von Datenmanagement bis Patientenpartizipation. Im Bereich des internen Informationsaustauschs wird etwa abgefragt, ob sich das Krankenhaus zur Verwendung von Standards bekennt, welche Standards tatsächlich umgesetzt werden und ob eine zentrale Datenbank vorhanden ist. Beim externen Informationsaustausch interessiert unter anderem, ob Daten über ein gesichertes Netzwerk mit externen Leistungserbringern ausgetauscht werden können und ob ein Austausch zu den freien Ressourcen mit anderen Krankenhäusern stattfindet.

Wie beurteilen Sie die unabhängige und offene Plattform Well vor dem Hintergrund des enormen Digitalisierungsbedarfs in Deutschland und in der Schweiz?

Das ist ein Riesenthema und es ist gut, dass es Initiativen gibt. Für die Patienten ist wertvoll, dass ihre Daten für sie einsehbar und zentral an einem Ort abgelegt sind. So lassen sich Doppeluntersuchungen und Kommunikationsbrüche vermeiden. Digitale Plattformen helfen den Patienten in dreierlei Hinsicht.

Die Patienten:

  • können ihre Gesundheitskompetenzen stärken,
  • den Behandlungspfad mitbestimmen und
  • gesundheitsbezogene Daten automatisiert an Ärzte zurückspielen.