Digitalisierung: In aller Munde – und oft nicht verstanden

Digitalisierung: In aller Munde – und oft nicht verstanden

Was macht die Digitalisierung des Gesundheitswesens so anspruchsvoll? Jost Tödtli, Inhaber von toedtli-consulting, teilt Erkenntnisse aus seinem Arbeitsalltag zwischen Beratung und Second-Level-Support.

Sie sind hier:News>Digitalisierung: In aller Munde – und oft nicht verstanden

Jost Tödtli, Inhaber von toedtli-consulting
Ich bin immer fürs Machen. Darum würde ich dort anfangen, wo Veränderungen relativ einfach umgesetzt werden können.
Jost Tödtli
Inhaber von toedtli-consulting

Jost Tödtli ist Inhaber von Tödtli-Consulting. Er unterstützt Spitäler, Psychiatrien und Rehakliniken bei der Digitalisierung von Prozessen und der Optimierung klinischer IT-Systeme.

Interview mit Jost Tödtli

Was macht die Digitalisierung des Gesundheitswesens so anspruchsvoll?

Themen wie das elektronische Patientendossier (EPD) oder E-Health werden oft nicht verstanden – aus verschiedenen Gründen. Es spielen unterschiedliche Interessen und Perspektiven rein. Die IT beispielsweise muss die Politik verstehen, die Politik ihrerseits muss es schaffen, die Bevölkerung zu erreichen. Bei meiner Tätigkeit bei der IG eHealth möchte ich den Hebel dort ansetzen: Den IT-lern die Funktionsweise der Politik aufzeigen.

Wie kann das Verständnis der einzelnen Stakeholder erweitert werden?

Die verschiedenen Stakeholder müssen zusammengebracht werden, damit sie nicht nur ihre Perspektive, sondern auch die Zusammenhänge verstehen. Im Gesundheitswesen gibt es keinen, der alles weiss. Umso wichtiger ist der Austausch. Und mehr Mut. Das entspricht aber nicht unserer Mentalität. Ich finde: Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch sagen, dass A falsch war. Darum sind kleinere und mittelgrosse Unternehmen wie Well für den Fortschritt so wichtig. Sie wagen etwas, indem sie neue Wege gehen und gross denken. Diese innovativen und sympathischen Firmen sind einfach mega cool!

Wo würdest du mit dem digitalen Wandel ansetzen?

Ich bin immer fürs Machen. Darum würde ich dort anfangen, wo Veränderungen relativ einfach umsetzbar sind: Zum Beispiel bei den Rezepten. Das Faxen liesse sich problemlos verbieten. Von Hand geschriebene Rezepte ebenso, Notfälle ausgeschlossen. Es müssen vorhandene internationale Standards (HL7 usw.) und Richtlinien (IHE usw.) verbindlich verwendet werden, um die Interoperabilität zu gewährleisten. Anstatt dauernd neue proprietäre Systemen und Schnittstellen zu erfinden.

Welche Aspekte sind neben Technik und Organisationsmanagement für die erfolgreiche Digitalisierung entscheidend?

Die Bevölkerung und der Mensch dürfen nicht vergessen werden. Der Aufbau und die Stärkung der Gesundheitskompetenz sind in diesem Zusammenhang enorm wichtig. Damit sollte man möglichst früh anfangen.

Du bist im DACH-Raum tätig. Siehst du hier Unterschiede?

Die Mentalität ist definitiv ein Faktor. So sieht man in Deutschland sehr oft die Technik als das Wichtigste und vergisst, dass IT-Projekte meistens Organisationsprojekte sind. Zudem ist vieles überreguliert und zu bürokratisch. Die Schweiz bewegt sich aber leider auch in diese Richtung, indem immer mehr dokumentiert wird, was nicht der Behandlung dient. Das müssen wir unbedingt stoppen! Ich arbeite sehr gerne in deutschen Krankenhäusern an Umsetzungsprojekten, wie beispielsweise der Einführung des Verordnungswesens mit Medikation und ähnlichem. Weil man, wenn das Management entschieden hat, geradlinig und schnell vorwärtskommt. In der Schweiz ist das Projektmanagement gefühlt 10mal aufwändiger, weil jeder und jede immer wieder gefragt und mit einbezogen werden muss. Ein Nachteil in einem Land mit direkter Demokratie.